Wir alle erleben gerade eine massive Werbekampagne von Teilen der regionalen Industrie und der Wirtschaft für die Planung und den Bau eines angeblich "grünen" Tunnels in der Trassenlage des Nordostrings. Komplexe politische Entscheidungen werden wie Waschmittel beworben Die in der Werbekampagne vorgebrachten Argumente für diesen Tunnel sind wenige und halten einer Überprüfung nicht stand. Um so höher ist dafür der Werbeetat für diese Kampagne. Wir sehen erstaunt, wie hier hunderttausende Euro dazu missbraucht werden, eine wichtige politische Entscheidung mit Hilfe bezahlter, fröhlich lachender, attraktiver Menschen und furchtbar plumper Parolen ("Gut für uns alle", "Für weniger Stau und mehr Familie", ...) im Interesse weniger Nutznießer zu beeinflussen. Geworben wird über das Internet (gruener-tunnel.de), im Radio, mit Großplakaten und in ganzseitigen Anzeigen (s. Anhang) in den Tageszeitungen. Es ist eine beispiellose Werbekampagne, bei der oft noch nicht einmal Ross und Reiter genannt werden. Demokratie funktioniert anders Demokratie ist immer auch ein Wettstreit unterschiedlicher Ideen, von denen die besten sich dann hoffentlich durchsetzen. Hierfür bedarf es jedoch zweierlei: guter, zutreffender Argumente ebenso wie einer "Waffengleichheit" bei den Mitteln, mit denen für die jeweilige Vorstellung geworben wird. Beides ist hier nicht gegeben. Hinter dieser ungewöhnlichen politischen Kampagne steht Dr. Rüdiger Stihl, Gesellschafter des gleichnamigen Kettensägenherstellers. Eigentlich ein netter älterer Herr, dessen Idee eines Nordostrings im Tunnel zur Schonung der Freiflächen und der Landschaft auf den ersten Blick durchaus auch Charme hat. Der Schutz der Freiflächen ist der Wirtschaft 1,3 Milliarden Euro Mehrausgaben wert Es ist positiv, wenn die Wirtschaft erklärt, dass ihr der Schutz unserer wertvollen Freiflächen Schmidener Feld und Langes Feld eine Mehrausgabe von gut 1,3 Milliarden Euro wert ist. Um diesen Betrag wäre nach der Berechnung der Tunnelplaner der Bau eines Nordostrings im Tunnel teurer als die oberirdische Variante. Doch ist das das überhaupt realistisch? Und was wären die Folgen? Schon vor vier Jahren konnte die Tunnel-Variante nicht überzeugen Mit seiner Tunnel-Idee ging Dr. Stihl vor vier Jahren an die Öffentlichkeit, stieß damit aber, wie wir meinen aus guten Gründen, auf deutlich mehr Ablehnung als Zustimmung. Selbst die Ring-Befürworter im Verkehrsministerium in Berlin haben die Initiatoren abblitzen lassen. Nun aber, vier Jahre später und vor zwei entscheidenden Wahlen - 2025 Bundestagswahl, 2026 Landtagswahl in BW - versuchen Dr. Stihl und weitere Unternehmer mit ihrer teuren Werbekampagne Stimmung für den Tunnel zu machen. Und egal wie dünn die Argumente dafür sind, seine Werbeexperten verstehen es, das wenige in den schönsten Farben darzustellen. Die Tunnel-Befürworter sammeln mit ihrer Kampagne auch "Ja"-Stimmen für ihre Tunnel-Idee, und es wird genügend Uninformierte geben, die auf diese plumpe Werbung hereinfallen und zustimmen. Bezeichnender Weise kann dabei auch nur mit "Ja" gestimmt werden, ein "Nein" ist nicht möglich. Damit soll dann das Thema in den Wahlkampf eingebracht und Druck auf die Politik ausgeübt werden, den Tunnel zu unterstützen. Das hat mit einer echten Abstimmung aber nichts zu tun, solche Scheinabstimmungen kennt man zuvorderst aus Diktaturen. Nichts Neues im Nordosten: Auch beim Tunnel überwiegen klar die Nachteile Gegenüber 2020 gibt es keine neuen Argumente, keine neuen Studien oder Gutachten für diesen Tunnel. Es gibt auch keine neuen Sachzwänge wie etwa stark gestiegene Verkehrsmengen. Im Gegenteil: Das Verkehrsaufkommen auf der Straße hat das Vor-Corona-Niveau noch nicht wieder erreicht, und es ist unwahrscheinlich, dass es dieses wieder erreichen wird. Sofern man nicht unsinnige neue Straßen baut. Der Nordostring - egal ob oberirdisch oder im Tunnel - wäre das Paradebeispiel für eine solche unsinnige Straße. Er hätte eine sehr hohe verkehrserzeugende Wirkung mit allen negativen Folgen. U.a. würden auf der Westseite des Neckars die B10 und die B27 zusätzlich belastet, auf der Ostseite die B14 und die B29. Das würde zwangsläufig weitere Straßenausbau- und Neubauplanungen in unserer Region nach sich ziehen. Die Staus in unserer Region wären entgegen der Versprechungen nach dem Bau des Nordostrings ganz sicher nicht beseitigt, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit schlimmer als zuvor. Der Bau des Tunnels wäre mit massiven Eingriffen in beste Böden und die Natur verbunden Nichts geändert hat sich auch an den extremen Eingriffen in die guten Böden des Schmidener Feldes und des Langen Feldes durch den in weiten Abschnitten im Ausschachtverfahren erfolgenden Tunnelbau. Da kann man noch so sorgfältig den Boden ab- und wieder auftragen, die Spitzenqualität der Böden mit ihren feinen, über Jahrtausende gewachsenen Gefüge ginge verloren. Wir brauchen diese guten Böden aber in Zukunft noch viel dringender als heute für die Produktion unserer Lebensmittel. Während der Bauzeit würde auch die Natur leiden. Wo sollen beispielsweise die bedrohten Tiere hin, solange die Erde großflächig von den Baggern durchwühlt wird? Die Tiere können nicht einfach ausweichen oder umziehen. Die Eingriffe würden vermutlich das Verschwinden seltener und streng geschützter Arten wie des Rebhuhns bedeuten. Tunnelbau setzt viel klimaschädliches CO2 frei Durch den hohen Bedarf an Beton und die vielen Erdbewegungen wird beim Tunnelbau sehr viel CO2 freigesetzt. In Zeiten der stark voranschreitenden Erderwärmung mit ihren katastrophalen Folgen sollten Tunnel nur noch dort gebaut werden, wo bereits bestehende Belastungen für die Menschen durch einen Tunnel stark vermindert werden können. Das ist hier eindeutig nicht der Fall. Im Gegenteil: Auch durch den "Grünen Tunnel" würden die Belastungen für viele tausend Einwohner unserer Region durch den dadurch verursachten Mehrverkehr spürbar zunehmen. Wer soll das bezahlen? Zu den hohen Kosten, die mittlerweile selbst nach Schätzung der Planer bei 1,6 Mrd. Euro liegen, muss man angesichts tausender maroder Brücken, zerbröselnder Bahninfrastruktur und dem großen Geldmangel, beispielsweise im Bildungs-, Pflege- und Gesundheitsbereich, nichts sagen. Und die Industrie, die nun so heftig für den Tunnel wirbt, wird diesen sicher nicht bezahlen. Realistisch betrachtet reicht schon alleine das Kosten-Argument, den Nordostring-Tunnel ein für alle Mal zu den Akten zu legen. Wir brauchen kein zweites S21 Die ARGE Nord-Ost e.V. steht deswegen in enger Verbindung mit vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen. Diese lehnen den Nordostring im Tunnel wegen der vielfältigen negativen Folgen ebenso ab wie einen oberirdischen Nordostring. Wir lehnen auch die bei uns beispiellose, unseriösen Werbekampagne für den angeblich "grünen" Tunnel ab, bei der in geradezu trumpscher Manier der Nordostring-Tunnel als neues Heilsversprechen für die Infrastruktur in der Region Stuttgart beworben wird. Sie fallen sicher nicht darauf herein. Helfen Sie bitte mit, dass auch Ihre Freunde, Bekannte und Nachbarn nicht darauf hereinfallen und kein unbedachtes "Ja" dafür abgeben. Joseph Michl, Vorsitzender der ARGE Nord-Ost e.V.